Ebersdorfer Goldschiffchen.
Unter den Reliquien der Kirche zu Ebersdorf befindet sich ein hölzernes, mittelalterliches Schiffsmodell, das Ebersdorfer Koggenmodell, welches aus dem 14. Jahrhundert stammen soll und bei folgender Gelegenheit der Sage nach dort aufgehängt worden sei:
Ein gewisser Junker Wolf von Lichtenwalde (?) war ins gelobte Land gezogen, um dort gegen die Sarazenen zu kämpfen. Die Gefahren und Anstrengungen des Krieges glücklich hinter sich gelassen, kehrte er mit Schätzen beladen nach seinem Vaterlande zurück, wo ihn eine liebende Braut erwartete. Auf dem Meeresweg nach Venedig segelte, ward er und seine Mannen von einem furchtbaren Sturme überfallen. Keine Geschicklichkeit des seekundigen Kapitäns, noch die übermenschlichen Anstrengungen der Mannschaft vermochten dem Andrange der wütenden Elemente zu widerstehen und jeder sah dem Untergange des Schiffes in nächster Zeit entgegen. Da sank der sonst so mutige Kreuzfahrer in wilder Verzweiflung auf die Knie und gelobte der Heiligen Jungfrau zu Ebersdorf, dass, wenn sie ihn aus dieser Todesnot befreien und glücklich in sein Ahnenschloss zurückkehren lassen werde, er ihr ein Schiffchen ganz mit gutem Gold gefüllt als Opfer darbringen wolle, und solle er auch sein ganzes Eigentum dabei aufwenden. Augenblicklich legte sich der Sturm, die Wogen glätteten sich und ein günstiger Wind trieb das Schiff schnell und glücklich in den sicheren Hafen. Der Ritter vergaß nach seiner glücklichen Heimkehr sein Gelübde nicht, er ließ von einem geschickten Künstler ein Schiffchen anfertigen, füllte es mit Gold und hing es zum ewigen Andenken in der Kirche zu Ebersdorf am Altare der hl. Jungfrau auf. Die Lichtenwalder Gutsherrschaft habe nach der Reformation sowohl dieses Gold als auch alle andern Kostbarkeiten und Nutzungen der Kirche an sich genommen, nachdem sie die Verpflichtung eingegangen war, dieselbe in allen Baulichkeiten zu unterhalten. Sollte die Kirche einmal abbrennen, so solle die Gutsherrschaft ohne Zutun der Gemeinde und des Kirchenärars die Kirche aus ihren Mitteln wieder aufzubauen.
Das Schiffchen hing zuletzt unter der Empore bei dem Haupttore und hat heute einen Platz in der Nordkapelle erhalten. Wie auch immer dieses Modell in die Ebersdorfer Stiftskirche gelangte, heute gilt es als eines der wissenschaftlich wertvollsten Schiffsmodelle unter Schiffshistorikern.
Widar Zienert fasst die Sage in poetische Worte:
Wohl gräßlich ist des Feuers Wuth,
doch rettet aus ihr schnelle Flucht;
weh aber, wenn des Meeres Fluth
im Aufruhr ihre Opfer sucht!
Es strecket die Arme so fürchterlich weit,
und giebt zum Entrinnen nicht Raum noch Zeit. –
Das große, weite Mittelmeer
durchfurcht ein Schiff mit schnellem Kiel,
vom heil’gen Lande kommt es her,
Venedig ist der Landung Ziel.
Wie schwellen die Segel vom Morgenwind,
wie rühren die Ruder sich so geschwind!
Die welsche Mannschaft freute sich,
daß ihre Fahrt so glücklich wär’,
des Schiffes Hauptmann aber schlich
voll bangem Ernst am Bord umher,
und sprach zu den Leuten: „Seid rüstig und wacht,
hart wird es hergehen in kommender Nacht!“
Kaum sinkt der Abend auf das Meer,
da wird die Luft so schwül und lau,
und graue Wolken, regenschwer,
umzieh’n des Himmels reines Blau,
und umlagern das Schiff wie ein drohender Wall,
als wollten sie’s fangen, all überall.
Des Meeres Vögel schaaren sich
und flattern ängstlich um den Mast,
dumpf rauscht die Fluth, und fürchterlich
entladet sich der Wolken Last.
Die Blitze zerreißen den Mantel der Nacht,
der Sturm erhebt sich und heult mit Macht.
eisch durch des Wetters Toben dringt
des Hauptmanns ängstliches Gebot,
wie rafft die Mannschaft sich, wie springt,
wie müht’ sich Jeder in der Noth!
Wie beten sie laut! Der Sturmwind verweht,
als verschmäht’ es der Himmel, der Schiffer Gebet.
Todtbleich auf dem Verdecke stand,
gleich einer geistischen Gestalt,
ein Rittersmann aus Sachsenland,
der Junker Wolf von Lichtenwald.
Er kehrte vom heiligen Lande zurück,
durch Narben gewürdigt für’s schönste Glück.
Er hatt’ ein Lieb im Vaterland,
ein Fräulein, wunderhold und schön,
doch konnt’ er Kunigundens Hand
von ihrem Vater nicht erflehn;
er solle, sprach dieser, zuvor noch zwei Jahr
sich rühmlich erproben in Kampf und Gefahr.
Der Junker, seinem Liebchen treu,
zog flugs in’s heil’ge Land hinaus,
und als das zweite Jahr vorbei,
und er bestanden manchen Straus,
da schifft’ er zur Rückkehr in Joppe sich ein,
ach Jammer! ein Opfer der Wogen zu sein.
Er stand todtbleich auf dem Verdeck.
Wie flog im Sturm so wild sein Haar,
wie furchte seine Stirn der Schreck,
wie schlug sein Herz in der Gefahr!
Er schaute voll Angst in den Kampf der Natur,
dem Ritter nicht bangte, dem Liebenden nur.
Und wilder wird des Sturmes Wuth,
er wirft das Schiff hinauf hinab,
und wühlet Schlünde in die Fluth,
als grüb’ er rastlos Grab an Grab;
ihm leuchten die Blitze mit blendendem Schein,
verzweiflungsvoll blicken die Schiffer darein.
Der Ritter rang die Händ’, und rief:
„So soll ich sie nicht wiederseh’n?
Nicht wiederseh’n – und muß ich tief
hier in den Wellen untergeh’n!
Gott, Herrscher im Himmel, das Meer ist ja dein!
Gebiete den Fluthen! Erbarme dich mein!“
Und schonungsloser tost die Fluth,
das Schiff fliegt wie ein Federball,
geworfen von des Sturmes Wuth,
hinauf hinab im Wogenschwall.
Der Sturm macht die Mühe der Schiffer zum Spott;
sie befehlen müssig die Seele zu Gott.
Der Ritter stürzt auf seine Knie:
„O heil’ge Jungfrau, deren Bild
in Ebersdorf oft mich und sie
mit freud’ger Zuversicht erfüllt!
Wir lagen andächtig vor deinem Altar:
ach, hilf mir, ach, rette mich aus der Gefahr!“
„Sie harrt – sie harrt daheim auf mich,
und wird in Hoffnung glücklich seyn,
und ha, indeß bricht fürchterlich
des Schicksals Zorn auf mich herein.
O heil’ge Maria, erbarme dich mein!
was ich Köstliches habe, ich will dir es weih’n.“
„Ein Schiffchen, voll mit Gold gefüllt,
gelob’ ich dir daheim zu weih’n,
und wüßt’ ich, was dir theuer gilt,
es sollte dir zu Eigen seyn.
Nur gönn’ mir, du Hehre, mein einziges Glück,
und führ’ mich zu meiner Verlobten zurück!“
Der Ritter ruft’s so inniglich,
sein Auge glänzet thränenfeucht –
und sieh, die Wolken klären sich,
die Fluth wird still, der Sturmwind schweigt,
und in den gelüfteten Wolken erglänzt
die Scheibe des Mondes, mit Sternen umkränzt.
Wie weht so sanft der Morgenwind,
wie freuen sich die Schiffer sehr,
wie fliegt das Schiff so pfeilgeschwind
und sicher durch das glatte Meer!
Was innige Liebe verzweifelt begehrt,
die heilige Jungfrau hat’s gnädig erhört.
Nach sieben Tagen lief das Schiff
im Hafen von Venedig ein,
und immer mächtiger ergriff
den Ritter Wolf der Liebe Pein;
er kaufte ein wackres arabisches Roß,
das eilends ihn trüge zum heimischen Schloß.
Und als er glücklich heimgekehrt,
da grüßt ihn treuer Liebe Gruß,
ihm nicht mehr Kunigundens Kuß,
und giebt gern den Bitten der Liebenden nach,
und beraumet zur Hochzeit den zwanzigsten Tag.
Wolf aber, dem Gelübde treu,
das er der heil’gen Jungfrau that,
schafft freudig alles Gold herbei,
das er in seinen Säckeln hat,
läßt bauen vom Bildner für reichlichen Sold
ein sauberes Schiffchen, und füllt es mit Gold.
Drauf als die zwanzig Tage voll,
und freudighell das Traugeläut
von Ebersdorf herüber scholl,
da eilte Wolf im Feierkleid
zur Trau, an der Rechten sein Liebchen hold,
in der Linken das kostbare Schiffchen voll Gold.
Und eh’ die Weihe noch beginnt,
da kniet er betend am Altar,
vom Aug’ ihm eine Thräne rinnt,
stillschaudernd denkt er der Gefahr,
und schweigend legt er mit frommen Sinn
das Kleinod am Fuße des Altars hin.
Der Priester weiht die Beiden ein,
und spricht bewegt: „Nicht all das Gold,
der christlich fromme Sinn allein
macht euch die Benedeite hold!
Das Schiffchen, es zeige den Pilgern fortan
die mächtige Hülfe der Heiligen an!“
Quellen:
Grässe, Johann Georg: Das Goldschiffchen in der Kirche zu Ebersdorf. in: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, 1874. Seiten 498/499.
Ziehnert, Widar: Das Goldschiffchen in der Kirche zu Ebersdorf. in: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2. Annaberg, 1838. Seiten 81–88.
Lutz Anke zeichnete einen Kurzcomic über die Sage des Ebersdorfer Goldschiffchen. Er gestattete uns freundlicherweise, es hier zu veröffentlichen: